Hilfe, ich habe Frau Krawuttkes Schwester gesehen!
Heute war Stadtfest. Grund genug für mich arbeiten zu gehen – eine Arbeit, die darin besteht, Para-Touristen (weil sie meist nur aus den Nachbarorten kommen) unser historisches Rathaus zu zeigen und nebenbei beim Fest Fotos für das kommunale Archiv zu schießen.
Wegen der Hitze und weil schließlich Sonntag ist düste ich erst auf den letzten Pfiff los. Zugegebenermaßen mache ich es aber immer so. Eilig. – Oh, bisher wusste ich noch gar nicht, was für ein ekstatisches Quitschen Winterreifen bei diesen Temperaturen von sich geben können! Was ich auch nicht wusste, dass ältere Frauen ihre Rollators freihändig über Fußgängerüberwege bekommen. Wenn sie nämlich beide Fäuste zum schütteln brauchen … Naja, hat sie beim nächsten Damenkränzchen zur Abwechslung mal was neues zu erzählen. Im Rückspiegel sah ich sie ihrem davonrollendem Gefährt hinterherhechten. Ob Pflegestufen eigentlich auch wieder aberkannt werden können?
Auf den Parkplatz gequietscht und ab zum Fest. Dort spielte schon eine Blaskapelle und ich konzentrierte meine volle Aufmerksamkeit darauf beim Laufen nicht im Takt der Blasmusik zu bleiben, um ein „Guck mal, der Idiot läuft im Gleichschritt.“ zu vermeiden. Wer Karl Moik und Ernst Mosch mit oder ohne Egerländer mal im Stechschritt ins Musikantenstadl einmarschieren gesehen hat, der weiß wovon ich rede …
Die Hitze war mal wieder nur unwesentlich unterhalb der Siedepunkte verschiedener Flüssigkeiten anzusiedeln und so platzierte ich mich im Schatten des Rathauses und beobachtete das Geschehen. Ich hoffe nur, dass kein Bekannter kam und mir ein Bier anbot – ich hätte ihm in dem Moment nur schwer erklären können, dass ich ja gerade arbeite. Dafür lief das Bier andernorts um so besser – oben hinein und …
Ja, wo vermutet man als Auswärtiger als erstes ein WC, wenn man sich auf dem Marktplatz befindet? Richtig, im Rathaus. Ich musste also meine ganze Menschenkenntnis daransetzen, die Besichtigungswilligen von den Verrichtungswilligen zu unterscheiden. Manchmal fiel das in der Tat nicht schwer. Einmal knüpfte ich meine Bereitwilligkeit, den Weg zu den Öffentlichen zu zeigen an das Versprechen, sich hinterher mit mir das Rathaus anzusehen. So war ich über den Nachmittag recht beschäftigt und geschäftig.
Bis sie kam. Ich erklärte gerade Besonderheiten unseres Gemäuers als sie sich vom WC kommend und an ihrem seltsamen Gewand nestelnd zu uns gesellte. Die überschwengliche Aufmerksamkeit, die sie dann an den Tag legte, macht mich in der Regel ja immer stutzig. Und ich wurde nicht enttäuscht: Frau Krawuttke hat eine Schwester! Ich weiß nicht, wie sie heißt und wo sie wohnt, aber ich habe sie gesehen!
Wir schauten uns die Schmetterlingssammlung an, die sich im hiesigen Museum befindet und ich erklärte gerade etwas über den Schöpfer dieser Sammlung, der voriges Jahr verstorben ist als es aus einer Ecke krähte: „Ich habe auch einen Schmetterling gefunden. Soll ich den herbringen?“ Gewohnt, dass ein Besucher hin und wieder einen Scherz macht, zumal wenn es eine Besucherin ist, die auch in der DDR beim besten Willen nicht mehr als „Freund der Jugend“ im Blauhemd durchgegangen wäre, fuhr ich fort. Ein Unterschied zwischen einem Scherz und einem ernst gemeinten Einwurf ist aber, dass der Scherzende beschämt zu Boden sieht, wenn niemand lacht, während der Ernste sich noch einmal Gehör verschafft. „Ja, der ist tot und liegt vertrocknet hinter meinem Küchenfenster!“ Ich versuchte daraufhin der Frau mit wenigen zielgerichteten Worten zu erklären, dass so eine eigene Schmetterlingssammlung in ihrer sicher geschmackvoll eingerichteten Wohnung ganz hübsch sei …